Qualitative Forschung

Bereits um die Jahrtausendwende bemühten sich führende englischsprachige Translationswissenschaftler und Translationswissenschaftlerinnen im Forum „common ground“[i] um eine allgemeine Ordnung translatorischer Begriffe. So sollten verschiedene theoretische Ansätze in Bezug auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede vergleichbar sein. Dieses Unternehmen wurde jedoch in der Folge aufgegeben, weil unter anderem eine theoretische Systematik fehlte.

Eines der Forschungsziele der Stiftung ist es daher, einen Ordnungsrahmen gemeinsamer Begriffe, Modelle und Methoden zu schaffen und so eine systematische Vergleichbarkeit theoretischer Ansätze in der Translationsforschung zu ermöglichen.

Insbesondere der individuelle „subjektive Faktor“ wird zwar als grundlegend für die Translation und ihre Wissenschaft gewürdigt, bleibt aber bis heute kaum begrifflich und methodisch zugänglich, und entzieht sich daher weithin dem Postulat der „Objektivität“ einer (Geistes)-Wissenschaft.

Läßt sich diese Engführung lockern? Welche Postulate muss ein Wissenschaftsbegriff in den Geisteswissenschaften erfüllen, der dem „subjektiven Faktor“ Raum zur Entfaltung bei gleichzeitiger Überprüfbarkeit von außen zulässt? Auch mit dieser Frage beschäftigt sich die Stiftungsforschung zentral unter dem Begriff „subjective transparency”. Dabei arbeitet die Stiftung begrifflich und methodisch mit dem Gedankengerüst Klaus Mudersbachs (2007), insbesondere mit seinem Dividuenbegriff, seinem atomistisch-holistisch-hol-atomistischen Paradigma und seinem Individual-Kollektiv-System-Ebenen-Modell (IKS). Auf dieser Basis schließt die Stiftung zunächst rein quantitative Arbeiten aus ihrem Förderprogramm aus. Zwar übersehen wir ihren Wert an sich nicht, geben aber zu bedenken, dass quantitativ erzeugte Ergebnisse nur einen begrenzten Geltungsbereich haben, nämlich nur für die Menge des Kollektivs[ii] gelten, aus dem die Parameter der statistischen Untersuchung gewonnen wurden und daher nicht auf einen konkreten Phänomenbereich anwendbar sind.

Theoretische Begründung im IKS-Modell:

Die Werte des Kollektivs werden zwar aus individuellen Untersuchungsobjekten gewonnen, diese sind aber auf einen gemeinsamen Parameterwert bezogen. Sie unterscheiden sich von der extensionalen Menge individueller Objekte darin, dass ihre Identität und ihre individuelle Identifizierbarkeit im Prozess der Kollektivierung anonymisiert wurden, da diese für die statistische Untersuchung nicht relevant sind. Ihre identitären Eigenschaften stehen dann für spätere Untersuchungen, z.B. der Analyse konkreter Texte oder Übersetzungen nicht mehr zur Verfügung.

Mit der Kollektivierung, also der Gruppierung individueller Objekte bezogen auf einen im Kollektiv gemeinsamen Analyseparameter, wird also ein „Gewinn“ erzielt, nämlich die Gewinnung quantitativ vergleichbarer Daten, aber auch einen „Verlust“ hingenommen, nämlich die Identifizierbarkeit individueller Eigenschaften. Die Rückübertragung kollektivierter statistischer Ergebnisse auf die individuelle Ebene konkreter Texte und konkreter Übersetzungen im Phänomenbereich, ist daher eine Fallacy.

Für die Translation und ihre Forschung sind aber möglicherweise so kritische Einflussgrößen wie z.B. der Übersetzungszweck oder die Kompetenz der Übersetzerin ausschlaggebend und es bleibt zu fragen, wie solche Fehlschlüsse vermieden werden können. Dazu gibt die Stiftung Denkanstöße, zum Beispiel Klaus Mudersbach, Heidelberg 1992: Wie vermeidet man Denkfehler beim Formulieren von wissenschaftlichen Theorien?

i Forum: Shared Ground in translation studies. (2000) Target 12 No. 2: 333–62
ii House, Juliane (2001) Meta Special Issue 46, 2, 243f
iii Mudersbach, Klaus (2007) „Universal Principles of Thinking“ MuTra 2007: LSP Translation Scenarios: Conference Proceedings